Im gut gefüllten kleinen Saal des Gmundner Stadttheaters wurde am Montag Abend die dreiteilige Dokumentation „Der taumelnde Kontinent“ gezeigt. Im Anschluss lud Franz Schuh den Autor der Buchvorlage Philipp Blom zum Gespräch.
„Heute beginnt der Erste Weltkrieg“, verkündete Franz Schuh – und meinte damit: Heute beginnt nach dem „Fest für Felix Mitterer“ gleich der nächste Schwerpunkt der Salzkammergut Festwochen. „Also sie ham uns den Ferdinand erschlagen“ heißt die Veranstaltungsreihe, die mit Filmvorführungen, Lesungen und Konzerten das Gedenkjahr 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs reflektieren will.
Den Anfang machte die Vorführung der dreiteiligen Dokumentation „Der taumelnde Kontinent“. Basierend auf Philipp Bloms gleichnamigem Buch, verfilmte der Regisseur Robert Neumüller diese Darstellung der Aufbruchszeit von 1900 bis 1914. Um den Krieg selbst ging es dabei weniger – der Historiker Blom wollte viel mehr zeigen, unter welchen Voraussetzungen diese „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ ausbrechen konnte. Wie er im anschließenden Gespräch mit Franz Schuh sagte, interessiere ihn vor allem Erlebnisgeschichte – wie fühlten sich die Menschen damals in einer Umgebung, die sich rasant weiterentwickelte und viele Erfindungen sowie gesellschaftliche Neuerungen brachte? Was ging in ihren Köpfen vor? Wie reagierten sie auf die Umwälzungen des neuen Jahrhunderts?
Wie Philipp Blom betonte, seien die Menschen damals unserer heutigen Gesellschaft gar nicht so unähnlich gewesen. Warum der Krieg ausbrechen konnte, können wir uns aus unserer Perspektive aber kaum beurteilen: „Ich glaube nicht, dass die Menschen damals dümmer waren. Es ist immer leichter, aus der Zukunft zu urteilen als aus der eigenen Gegenwart.“ Auch Franz Schuh schloss sich dem an. Heute sind wir eben um einhundert Jahre Erfahrung reicher – Weltkriege und Völkermorde lagen dazwischen, die Teile der Menschheit zu der Einstellung bewegt haben, es darf keinen Krieg mehr geben.
Das erklärte Ziel von Philipp Bloms und Robert Neumüllers – die, wie ich erst zu Ende der Vorstellung bemerkte, die ganze Zeit über neben mir in der letzten Reihe gesessen waren – Dokumentation ist es also, uns einen Eindruck zu geben, wie die Menschen damals dachten, und uns damit ein besseres Verständnis für diese Zeit zu geben. Nach einem Filmmarathon von über zwei Stunden kann ich sagen: Das ist ihnen gelungen! Durch eine Mischung aus historischem Material und Aufnahmen aus der Welt des 21. Jahrhunderts wurde eine Brücke geschlagen zwischen zwei Lebenswelten, die uns auf den ersten Blick völlig unterschiedlich erscheinen, jedoch in ihrem Fortschrittsgeist und der Idee der beinahe unbegrenzten Möglichkeiten einander nicht unähnlich sind. Wie die drei Filme zeigten, begannen vor 1914 Entwicklungen, die das gesamte 20. Jahrhundert prägten.
Vielleicht kann man sogar sagen, dass die Dokumentation eine Art von Warnung enthält: Denn, wie Philipp Blom im Gespräch sagte, die Menschen konnten die neu entstandenen Herausforderungen nicht bewältigen, und alle Stränge liefen schließlich zusammen und führten zum Ersten Weltkrieg. Ihm ist wichtig, dass man nicht nur die falschen Entscheidungen der militärischen Führung und der Monarchen, mit denen Europa zu dieser Zeit gerade „Pech hatte“, in die Beantwortung der Frage nach dem Ausbruch des Krieges einbezieht, sondern die gesamten Wechselwirkungen zwischen politischem Geschehen und kulturellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Die Dokumentation endete mit den Schüssen Gavrilo Princips auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo. Damit kam der die gesamte Darstellung überspannende Bogen zu einem Ende, und stellte doch gleichzeitig einen Anfang dar: Das Attentat war vielleicht der Auslöser, aber nicht der Grund für den Ausbruch eines Krieges, der den „taumelnden Kontinent“ Europa für immer verändern sollte.
Marlene Fößl