Die Weitergabe des Feuers: „Kinder Tibets – Kann man glücklich Sein lernen?“ – Dokumentarfilm von Carola Mair

„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ – mit diesem Zitat und dem Ton von tibetischen Klangschalen wurden die Premierengäste zur Erstvorführung von Carola Mairs Dokumentation „Kinder Tibets“ eingestimmt. Darin zeigt die aus Attnang-Puchheim stammende Filmemacherin das Leben, den Alltag und den Kampf junger Exil-Tibeter um die Bewahrung ihrer kulturellen und religiösen Identität fern der Heimat.

Seit der Besetzung Tibets durch die Volksrepublik China wird das Land politisch und sozial von Peking kontrolliert. Die chinesische Politik führt vor allem massive Eingriffe in die Religion der Tibeter durch und unterdrückt die tibetische Kultur und Sprache. Durch gezielte Ansiedelung von Chinesen sind die Tibeter zu einer Minderheit in ihrer eigenen Heimat geworden. Angesichts dieser Unterdrückung und Freiheitsberaubung wagen viele die Flucht ins Ausland, vor allem nach Indien.

Der Konflikt um Tibet war mir, bevor ich den Film gesehen hatte, durchaus bekannt; auch, dass viele Tibeter die Flucht aus ihrer Heimat ergreifen, um der Unterdrückung zu entkommen. Allerdings hatte ich nie daran gedacht, dass darunter auch junge Menschen und sogar Kinder sein könnten. Ihre Flucht über den Himalaya in die in Nordindien gegründeten tibetischen Siedlungen ist nicht nur gefährlich, sondern trennt sie auch oft von ihren Eltern und Familien. Zwar kümmern sich Pflegemütter um sie und sie können, im Gegensatz zu Schulen in ihrem Heimatland, in ihrer Muttersprache Tibetisch unterrichtet werden, jedoch haben viele von ihnen ihre Eltern schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Tausende Kinder werden in der Tradition eines Landes erzogen, an das sie sich manchmal gar nicht erinnern können.

Es war für mich sehr berührend, die Verbindung der politischen Situation mit persönlichen Schicksalen zu sehen. Dadurch bekamen die mir bekannten „trockenen“ Fakten eine viel weitreichendere, menschliche  Dimension. Interessant war es auch zu sehen, dass viele der für die Dokumentation interviewten Exil-Tibeter weniger auf politische, sondern in erster Linie auf kulturelle Autonomie für ihr Volk hoffen. Ich war tief beeindruckt vom Optimismus und positiven Geist vor allem der jungen Menschen, teilweise meines Alters, die wegen Chinas Politik fern von ihrer Heimat und Familie aufwachsen müssen, um ihre Identität und Kultur bewahren zu können. Paradoxerweise ist das nämlich die beste Art, das zu tun. Ich zumindest hätte aber auch ein gewisses Verständnis, wenn sie von Hass erfüllt wären und auf aktivistische Art und Weise für die Erhaltung ihrer Kultur kämpfen würden. Tatsächlich waren aber einige von ihnen der Meinung, das gelänge am Besten durch die Weitergabe dieser an die jüngere Generation, und nicht durch drastische Aktionen wie Selbstverbrennungen, die auch in den internationalen Medien für Aufsehen sorgen. Sie orientieren sich an ihrem religiösen Führer, dem Dalai Lama, und seiner Einstellung von Bescheidenheit und Nächstenliebe, was ihnen hilft, die Situation zu ertragen.

Aber der Film warf auch universellere Themen auf. Im Hintergrund zu diesem Konflikt ging es auch um die Wünsche und Zukunftsaussichten von jungen Menschen in einer sehr speziellen Situation, die aber trotzdem genauso träumen wie Jugendliche bei uns. Der Film drehte sich auch darum, was es heißt, sein Glück zu finden. Zu sehen, wie Menschen, die viel weniger – nicht einmal ihre Heimat – haben und in viel schwierigeren Situationen sind, bescheidener sind als so manche Leute in unserer Gesellschaft, regte auf jeden Fall zum Nachdenken an. Sehr inspirierend waren auch die Interviews mit Menschen aus Europa, die im Buddhismus eine Quelle der Seelenruhe gefunden haben oder dadurch, dass sie z.B. die tibetischen Schulen im Exil mit Patenschaften unterstützen, sich in ihrem Leben bereichert fühlen.

Der Film hat es auf eine sehr besondere Weise geschafft, meine Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken und neue Aspekte davon anzusprechen, denn es ging darum um Menschen meiner Generation. Es war sehr interessant zu sehen, wie ihre grundsätzliche Lebenseinstellung und ihre Sicht auf Identität und Kultur sich von unserer im Westen unterscheidet, und regte auch an, über die Situation bei uns nachzudenken. Ob schockierend oder berührend, vollkommen kalt können einen diese fünfzig Minuten ganz sicher nicht lassen.

 

Marlene Fößl

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar