Identitäten: Bodo Hell & double.bass.trombone – Shuffling the Cards, 3rd Round

Mein erster Arbeitstag als Jugendredakteurin der Salzkammergut Festwochen startete in wunderschöner Kulisse, nämlich dem Backsteingewölbe der Hipp-Halle in Gmunden. Der Wortkünstler Bodo Hell stand mit einer Lesung, begleitet von den Improvisationsmusikern double.bass.trombone, am Programm.

Ich hatte im Vorfeld der Veranstaltung noch nichts mit Bodo Hells Werk zu tun gehabt. Umso größer war meine Überraschung, als er mit Worten losfeuerte und eine Art „freie Assoziationskette“ in einem Schwall auf die Besucher losließ. Seine außergewöhnliche Art vorzutragen, mit Wechseln im Tempo und Lautstärke, gab im weiteren Verlauf der Lesung seinen Texten über Themen wie Brauchtum, Alltag oder auch Volksfrömmigkeit neue Dimensionen und ließ sie auch als Wortkunstwerke für sich wirken. Ergänzungen und Anekdoten aus der Geschichte oder Kunstwelt, wie beiläufig eingestreut, aber in Wahrheit sorgfältig komponierten Nebensätzen verpackt, zeugten vom sprühenden Geist der Werke des Bodo Hell. Mit in ironisch-satirischer, teils kritischer und auch liebevoller Art formulierten, scharfsinnigen Sätzen textete er die Zuhörer regelrecht zu, und als die Musik von double.bass.trombone einsetzte, hatte man auch einmal Gelegenheit, die Texte auf sich wirken und sickern zu lassen.

Aber auch die Musik war ein Erlebnis für sich, und obwohl sie eine hervorragende Ergänzung und Unterstreichung zu Bodo Hells Texten bot, war sie doch viel mehr als nur ein „Hintergrundgeräusch“. In wunderbarer Harmonie mit den Texten baute sie die außergewöhnlichsten Klangbilder auf, bildete ein Kaleidoskop aus Melodien, Stimmungen und Geräuschen, die mich oft verwundert zurückließen, welche Dinge man mit einer Posaune und zwei Bässen anstellen konnte. Es war klar, dass die drei Musiker mit ihren Instrumenten so gut vertraut waren, dass sie wirklich alles Denkbare und Undenkbare aus ihnen herausholen konnten. Ihre kaum fassbare, aber auf jeden Fall sehr atmosphärische Musik harmonierte hervorragend mit Bodo Hells einmaliger Art vorzutragen, sodass sich alle Elemente zu einer stimmigen Collage zusammenfügten.

Mit einem Aufnahmegerät bewaffnet, zog ich gemeinsam mit meinem Kollegen Max nach der Lesung los, um die Meinungen einiger anderer Besucher einzufangen – auch sie zeigten sich begeistert von diesem Erlebnis aus Wort- und Klangkunstwerken.

Mit Kunstwerken, diesmal der bildenden Kunst, ging der Abend auch gleich weiter. Alexandra Grimmer eröffnete die von ihr kuratierte Ausstellung „Shuffling the Cards – 3rd Round“. Obwohl Künstler aus einigen verschiedenen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder China beteiligt waren, hatten alle den weiten Weg auf sich genommen und waren anwesend.

Der Untertitel des Projektes lautete „Identitäten – Sprache, Landschaft, Architektur“, weshalb es besonders interessant war, Werke von Kunstschaffenden aus kulturell so unterschiedlichen Gegenden betrachten und auch vergleichen zu können. In ihrer Eröffnungsrede erklärte die Kuratorin Alexandra Grimmer die Gegenüberstellung westlicher und chinesischer Künstler auch zu einem Anliegen der Ausstellung.

Nach der Ausstellungseröffnung hatte ich ein Interview mit Alexandra Grimmer vereinbart. Sie im Getümmel zu erwischen gestaltete sich schwieriger als gedacht, aber schließlich war sie doch so freundlich, mir ein paar Minuten ihrer knappen Zeit zu schenken.

Ich war erstaunt zu sehen, wie so unterschiedliche Arbeiten so viele verschiedene Aspekte ein und desselben Themas ansprechen können. In verschiedensten Techniken, von fotorealistischer Malerei oder Fotomontage bis zu Arbeiten aus Karton oder von traditioneller chinesischer Kunst beeinflusste Grafik, setzten sich die Werke mit dem Thema Identität auseinander. Auf einen gemeinsamen Nenner ist das Ergebnis nicht zu bringen – stattdessen wird klar, wie viele verschiedene Aspekte dieses Thema hat, wie verschieden Identität für jeden definiert wird und welche Faktoren sie beeinflussen können. Die Frage, wie Identität durch Umwelt- und Lebensbedingungen oder das gesellschaftliche Klima geprägt wird, wurde ebenso aufgeworfen wie das Thema der Meinungsfreiheit. Hier ist mir besonders die Arbeit von Wang Wo in Erinnerung geblieben, der auf Fotos von Demonstrationen die Sprüche von den Plakaten retuschierte und sie damit in einen neuen Kontext setzte.

Auch Bodo Hells Texte, die sich um Alltag oder Brauchtum drehten, hatten sich auf ihre Weise mit dem Thema Identität auseinandergesetzt. So spannte sich der Bogen an diesem Abend von seiner eigenwilligen Literatur bis zu diesem bunten Sammelsurium an verschiedensten Kunstwerken zu demselben Thema und ließen mich mit der Erkenntnis zurück, dass dieses Thema noch viel mehr Dimensionen und Aspekte hat, als ich gedacht hätte.

Marlene Fößl

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FRANZ SCHUH

Nach einer Einführung von Konstanze Fliedl begann Franz Schuh, der auch als künstlerischer Berater bei den Festwochen tätig ist, mit seiner Lesung aus  „Der Weg  ins Freie“ von Arthur Schnitzler. Die traumhaft schöne Villa Lanna zauberte ein besonderes Ambiente für die Veranstaltung.

Detailliert und naturbezogen übt der Arzt und Dichter Schnitzler in seinem Roman Gesellschaftskritik am Beispiel des jungen Barons Georg von Wergenthin,  an den Juden und ganz allgemein am zeitgenössischen Wien.
Am Nachmittag durfte ich den Literaten und Schauspieler Franz Schuh persönlich treffen, eine einmalige Chance für mich, mit ihm ins Gespräch zu kommen.

Schnitzler beschreibt in seinen Werken die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Seither hat sich unserer Gesellschaft jedoch stark verändert. Sind die von ihm behandelten Themen auch heute noch aktuell?
„Da kann ich nur zwei Dinge sagen. Erstens: Nichts muss aktuell sein. Und zweitens: Die Geschichte ist ja ein Teil von uns – das waren wir schließlich mal – insofern ist Geschichte immer aktuell.

Es ist ja ein menschliches Phänomen, unangenehme Dinge zu vergessen bzw. zu verdrängen. Im Roman Der Weg in Freie spielt das Vergessen ja auch eine wesentliche Rolle. Was wird denn in unserer heutigen Gesellschaft gerne vergessen?
Das Vergessen ist das Privileg der Starken, das Erinnern die Stärke der Schwachen. Ich denke, dass wir oft vergessen, in welcher Risikogesellschaft wir eigentlich leben. Rund  um die Grenzen Österreichs stehen zahlreiche Atomkraftwerke, da braucht nicht viel sein und ganz Wien ist dran. Vergessen ist etwas Existenzielles, ohne könnten wir nicht leben.“

Als Jugendredakteurin ist es mir ein besonderes Anliegen, andere Jugendliche für Kunst und Kultur zu interessieren. Wie war denn Ihr persönlicher Werdegang? Wie fanden denn Sie als junger Mensch Zugang zur Kunst und speziell zum Schreiben?
„Junge Leute für Kunst und Kultur zu begeistern ist eine schwierige Problematik, da das ja Raum der freien Wählbarkeit sein sollte. Bildung, Lernen und Autorität spielen sicher eine ganz wesentliche Rolle. Wenn man natürlich von zu Hause automatisch schon sehr viel mitbekommt, hat man sofort einen Zugang. Ich spreche immer von einem Feld, in dem Kunst plausibel ist. Ich sehe es auch als Problem der Pädagogik, ohne pädagogische Hinleitung  funktioniert es ebenfalls nicht. Es ist wichtig, sich auch immer wieder Anregungen zu holen.  Zum Beispiel auf Ö1 gibt es tolle 5-Minuten -Sendungen über alles mögliche. Das regt mich immer an.
Meinen Werdegang empfinde ich als sehr typisch, ich bin Literat geworden wegen meiner Unfähigkeit an allem anderen. Es waren bestimmt viele Lebenszufälle, die aber mittlerweile zusammen Sinn ergeben- ich betrachte sie nun weniger als Zufälle.“

Welche Themen stehen in Ihren Werken im Vordergrund?
„Die meisten Schriftsteller sind an den selben Themen interessiert: Liebe, Tod,  das Erinnern- wie war es früher?-, die Frage der Vergänglichkeit und Trauer. Ich schreibe polemisch, satirisch, teilweise auch absurd.“

Als künstlerischer Berater sind Sie sowohl auf als auch hinter der Bühne aktiv. Was ist denn das Besondere an den Festwochen bzw. Gmunden, das Sie immer wieder anzieht?
„Die Intendantin und das Team rund um sie. Jedes Jahr bringen sie Unmögliches zusammen, trotz geringen Personals. Für die paar Frauen, die das alles `schupfen´, ist das für lange Zeit eine totale Überanstrengung.“

Wenn Sie nicht gerade bei den Festwochen beschäftigt sind, was machen Sie denn sonst noch?
„Ich bin akademischer Lehrer, unterrichte am Reinhard Seminar und ich bin Schriftsteller – also ich schreibe. Manchmal besuche ich auch Gymnasien und unterrichte dort für ein, zwei Stunden. Das ist für mich eine Art seelischer Ausgleich, obwohl ich auch jedesmal froh bin, wenn ich wieder aus der Schule draußen bin.“

Was können Sie jungen Künstlern mit auf den Weg geben?
„Das mein ich jetzt ironisch und doch ernst: üben,üben,üben!“

Was können Sie jungen Kunst-Konsumenten mit auf den Weg geben?
„Den wahren Sinn zu bewahren, unabhängig zu sein und nicht immer dem Mainstream folgen. Einmal etwas nicht  zu verstehn ist auch eine gute Sache- das ist ein wichtiger Weg der kulturellen Bildung, oft weckt es eine Art Begeisterung, gerade weil man es nicht versteht.“

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Musikalische Lebenslust.

Ein ganz besonderes Konzert fand am Samstag in der Römerkirche in Aurachkirchen statt:
Anna Lang gastierte mit ihrem WoodAirQuartett an diesem stimmungsvollen Ort, der für diese Matinee einen sehr besonderen Rahmen bot. „La Folia – lärmende Lustbarkeit“ war das Thema des Vormittags. Das WoodAirQuarttet, bestehend aus Anna Lang (Cello), Andreas Waelti (Kontrabass), Alois Eberl (Fisarmonica, Trombone) und Robert Kainar (Percussion), begeisterte mit Werken aus der Renaissance und Barockzeit. Dabei spannten sie den Bogen vom 17./18. bis zum 21. Jahrhundert. Virtuos und einfallsreich brachten sie unter anderem Kompositionen von Corelli, Marais und Vivaldi zu Gehör. Ein besonderer Höhepunkt waren die Eigenkompositionen und Improvisationen, die den Charakter der Folia, in ihrer ursprünglichen Bedeutung „Tollheit, Narrheit“, aufgriffen.

Nach diesem fantastischen Konzert bot sich mir die Gelegenheit mit Anna Lang und Andreas Waelti persönlich ins Gespräch zu kommen. Die sympathischen Musiker erzählten, wie sie zur Musik fanden, wobei ihre Zugänge recht unterschiedlich waren.

Anna Lang wurde das Musizieren praktisch in die Wiege gelegt. Seit sie denken kann läuft bei ihr Zuhause immer Musik – klassische Musik. „Ein Klavier hatten wir auch. Ich begann also mit dem Klavierspielen, als ich groß genug war, um an die Tasten gelangen zu können.“

Andreas Waelti stellte jedoch fest: „Ich wurde genau genommen zum Musizieren überredet. Meine Freunde wollten eine Band und es fehlte eben noch ein Bassist.“ Erst mit 20 stieg er auf Kontrabass um, womit er nun zahlreiche Konzerte spielt.

Die erfolgreiche Cellistin, Pianistin und Komponistin Anna Lang stammt ursprünglich aus Altmünster. An einem Konzert in der Heimat schätzt sie besonders, dass dabei alles so entspannt ablaufe.

Der aus der Schweiz stammende Andreas Waelti ist sehr stark in der Jazz – Szene vertreten, findet aber auch die Klassik interessant. Er ist offen für alle Musikrichtungen und findet es spannend immer wieder einmal etwas Neues auszuprobieren.

Anna Lang arbeitet zweimal in der Woche als Musikpädagogin in Bad Ischl und unterrichtet Klavier, sowohl Jazz als auch Klassik. Nicht nur Kinder, erzählte sie, kommen zu ihr in die Stunde, auch Kollegen lernen bei ihr und sogar einer ihrer Professoren.

Mich interessierte, ob der begeisterten Pianistin und Cellistin das Komponieren besonders wichtig sei: „Ja, klar! Ich komm‘ dem Schreiben einfach nicht aus. Ich muss doch den Leuten schließlich zeigen, was man alles auf meinen Instrumenten machen kann!“

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Die Eröffnung

festlich.anregend.virtuos.
Ja, so vielversprechend war sie- die 27. Eröffnung der Salzkammergut Festwochen Gmunden 2013. Bereits um kurz nach sechs erkannte man von Weitem: im Gmundner Stadttheater tut sich was! Ehrengäste, Politiker, Presse und zahlreiche andere junge und ältere Kultur-Liebhaber trudelten ein und so füllte sich der große Saal nach und nach. Die angenehm positive Atmosphäre entnahm man den angeregten Gesprächen der Gäste, die allerdings kurz darauf verstummten, als Intendantin Jutta Skokan die Bühne betrat. Als nach ihrer Dankesrede die ersten Töne des Pianistenduos Suyang Kim und Andreas Thaller den Raum erfüllten, hielt der Ein oder Andere den Atem an. Es war, als würden die Finger der Pianisten nur so über die Tasten schweben. Bereits die ersten Takte zogen die Anwesenden in den Bann der Musik und man lauschte aufmerksam und mit höchstem Genuss den Werken von Georges Bizet und Astor Piazolla.

Nach Ansprachen von Intendantin Jutta Skokan, Obfrau des Festwochenvereins Dr. Johanna Mitterbauer, Präsident Martin Aistleitner und Bürgermeister Heinz Köppl erklärte Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer die 27. Salzkammergut Festwochen Gmunden für eröffnet. Nach der diesjährigen Eröffnungsrede, gehalten von der deutschen Dramatikerin Theresia Walser, erklang noch einmal herrliche Musik. Anschließend lud man zum gemütlichen Bühnenfest, ein idealer Rahmen um das gelungene Fest ausklingen zu lassen.

Nach diesem eindrucksvollen Abend wird meine Vorfreude auf die zahlreichen, weiteren künstlerischen Darbietungen immer größer und gespannt und erwartungsvoll blicke ich nun den nächsten, interessanten Begegnungen entgegen.
//Hanna Wirleitner
Photos (c) Sarah Hutterer

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Eröffnungstag

14.00 Uhr – noch 5 Stunden bis zur Eröffnung. Die Spannung steigt! Es wird fleißig dekoriert, telefoniert und die letzten Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Trotz allgemeiner Hektik und Anspannung, die bei so einem Event natürlich vorprogrammiert sind, kann man die Vorfreude aller Beteiligten auf den heutigen Abend schon deutlich spüren. Eine positive Stimmung liegt in der Luft, denn man weiß: die diesjährige Eröffnungsfeier wird wieder ein Abend zum Erinnern!
// Hanna Wirleitner
Photo Sarah Hutterer
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Verabschiedet.

Tag#7 (17.08.2012)

Mit einem wahren Highlight ist die an tollen Veranstaltungen so reiche Woche hier für mich zu Ende gegangen: die Lesung aus Werken Thomas Bernhards von Otto Sander im Bernhard-Haus. Ich muss gestehen, dass ich mit Bernhards „Stimmenimitator“ noch nicht zu tun hatte und sozusagen völlig ohne Vorkenntnis in diese Lesung ging. Schon nach den ersten Texten – der „Stimmenimitator“ ist ja eine Sammlung von rund einhundert kurzen Prosatexten – war ich allerdings begeistert. Dies mag mehrere Gründe haben, zwei sind jedoch vordergründig: der Stil der Texte, dieser sachliche Pressestil, denn gerade durch die scheinbare Objektivität entsteht ein ganz eigener, trockener Humor, und die Vortragsweise Otto Sanders. Mich beeindruckte, mit welcher Kraft die Stimme des mittlerweile 71-jährigen Ausnahmetalents den Raum erfüllte und meine Aufmerksamkeit so fesselte, dass ich wie gebannt den ausgewählten Erzählungen lauschte.

Insgesamt 44 Texte waren es, die Sander dem Publikum vorlas, manche heiter oder sogar zum Schreien komisch, andere etwas nachdenklicher, sowohl lange als auch kurze und prägnante Werke vervollständigten das Potpourri – somit könnte man sagen, dass die Auswahl von Ursula De Santis-Gerstenberg, die auch den Einführungsvortrag hielt, alle Sparten abdeckte.

Schon im Vorfeld der Veranstaltung war ein großer Ansturm auf die Karten, anfangs noch etwas irritiert vom großen Andrang verstehe ich nach dieser Lesung, warum ein so großes Interesse an Karten bestanden hat: mich hat der Vortrag Sanders dermaßen begeistert, dass ich den „Stimmenimitator“ sicherlich selbst noch einmal lesen werde.

Und mit diesem überzeugendem literarischen Ausklang fällt es beinahe schwer, die Koffer zu packen und wieder heimzufahren: das beste Zeichen dafür, wie sehr mir die Tage und Veranstaltungen hier gefallen haben!

// Hanna Sonnleitner

Fotos R. Gigler/ Salzkammergut Festwochen

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Rückblick.

Tag#7 (17.08.2012)

Am zweiten Tag meiner Woche hier ließ ich auf der Esplanade sitzend und die Sonne genießend das Gespräch mit den beiden Künstlern Gabriele Berger und Robert Oltay (deren Ausstellung in der Hipphalle noch bis 26. August zu sehen ist) Revue passieren. Was die beiden mir über ihre Arbeit erzählt haben, ist hier kurz zusammengefasst.

Am besten in Erinnerung geblieben ist mir die Philosophie, mit der Gabriele Berger ihre Steinskulpturen erschaffen bzw. in weiterer Folge angeordnet hat. Unendlich. Dieses Wort wird von den Skulpturen in Kreisform gebildet, ein Wort, das Berger vor allem durch Überlegung der Definitionen von Jetzt und Zeitlichem des Philosophen Wittgenstein gebildet hat und in ihrem „eigenen Kosmos“ der wegen ihrer Lieblingszahl 11 11×11 Meter groß ist, aufgestellt hat, wie sie selbst sagt. Unter dem Titel „Nur ein Wort“ verweist die Künstlerin auf die Wichtigkeit der Handschrift und den Sprung zu letzten Schrift unser aller, der in Stein – das Material ihrer Skulpturen – gemeißelten Grabinschrift.

Auf der anderen Seite der Halle gibt es sozusagen das Kontrastprogramm. Nicht grauer Stein, sondern bunte Gemälde und Arbeiten Oltays sind hier zu bewundern. Die erste Werkgruppe, die er präsentiert, ist eine Collage mit dem Titel „Lampedusa. Bildstörung“ – es zeigt eine Szene, wie wir sie leider nur allzu gut von Schiffsunglücken kennen. Das Interessante ist der Bezug des Künstlers auf Géricaults „Floß der Medusa“ (1819, derzeit im Louvre zu sehen) der sich schon allein im Titel „Lampedusa“, dem erweiterten Anagramm von „Medusa“ widerspiegelt.

So wie „Lampedusa“ ist auch „Die letzte Zeugin“ (die Überlebende einer Naturkatastrophe) in der vom Künstler auch als Atelier benutzten Hipphalle entstanden. Die Liebe zum Räumlichen zeigt sich nicht nur in diesen beiden Collagen, sondern auch in den beiden „Fluss“-Gemälden, die Oltay liebevoll „Ode an die Traun“ nennt und die auch die Haptik ansprechen sollen: Mit Erlaubnis des Künstlers darf die rauhe Oberfläche berührt und ertastet werden.

Zu sehen gibt es auch noch einen Tisch, auf dem ein Bild, aus verschiedenen Bahnen gebildet, ausgebreitet werden muss – eine Seite ergibt die nächste, so dass es zum „Fließen in einer Geschichte“ kommt.

Auf der Stirnwand in Bergers Hälfte sind es Worte, gebildet aus „Unendlich“ und übereinandergeschrieben wie die Ornamente der Fenster; gegenüber hat Oltay die „Trilogie über den Krieg“ drapiert, so passend, weil die Löcher in der Wand wie Einschusslöcher oder Kriegsverletzungen wirken.  Mit dem bildnerischen Verarbeiten des Jugoslawienkriegs schließt sich in mehrerer Hinsicht der Kreis: nicht nur, dass während den Arbeiten Kinder bosnischer Flüchtlinge Oltay über die Schulter geschaut haben, auch der Film „Underground“, der am Vormittagim Stadttheater im Rahmen des Menasse – Fests gespielt wurde, thematisiert diesen Krieg. Oltay spricht davon, dass der Jugoslawienkrieg durch die uns betreffende Migration die Menschen hier mehr tangiert als Kriege im Kongo; dass er es schrecklich findet, wie wir „in unserem hochentwickelten Zeitalter in die Steinzeit zurückgebombt“ werden und dass er den Film „Underground“ wegen der Groteske und Authentizität so wertvoll findet und erinnert, dass er „Jugoslawien als Pulverfass“ empfindet.

Philosophie, Mythologie, Gefühlseindrücke u.v.m. verarbeiteten Berger und Oltay in ihren Werken – hier noch eine Bildergalerie:

Künstlerin Gabriele Berger mit ihren Steinskulpturen (oben), Robert Oltay mit seinen Werken (unten)

// Hanna Sonnleitner
Fotos Sarah Hutterer

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„Die Frauen finden immer einen Leuchtkäfer, auf den sie sich ausreden. Den ehrlichen genügt ein Maikäfer.“

Tag#6 (16.08.2012)

Musikalischer Aufklang. Licht aus. Auftritt Miguel Herz-Kestranek. Gut in Szene gesetzt begann die Lesung aus Prosatexten von Arthur Schnitzler mit „Ich“. Diese 1917 erschienene Novelle handelt von einem Mann, der am Eingang eines Parks das Schild „Park“ entdeckt. Er spottet darüber, dass „nicht alle Menschen so geistesgegenwärtig und scharfsinnig waren, dass sie wussten, dass dies ein Park war.“ Doch dann fängt er damit an, sich mit dem Bezeichnen und Benennen von Dingen auseinanderzusetzen, bis er schließlich selbst überall Zettel aufhängt. Dies artet so weit aus, dass der Nervenarzt, der zum Schluss gerufen wird, den Protagonisten mit einem Zettel auf seiner Brust vorfindet: „Ich“. Wie die drei anderen gelesenen Novellen gehört auch „Ich“ – zu Unrecht, wie ich finde – zu den unbekannteren Schnitzlers. Pointiert und witzig waren sie, was nicht zuletzt an der humorvollen Vortragsweise Herz-Kestraneks lag, ein Umstand, den das Publikum mit Gelächter und viel Applaus sowohl zwischen den einzelnen Erzählungen als auch am Ende honorierte.

„Der Ehrentag“, die Geschichte über einen Theaterschauspieler mit kleinen Rollen, der Opfer eines Streiches aus fehlgeleiteter Eifersucht wird und am Ende Suizid begeht, ist die einzige, etwas nachdenkliche Ausnahme der sonst so heiteren vorgetragenen Novellen. Doch dafür sorgten nach der Pause Dialoge wie der zwischen einer Patientin und einem Arzt aus dem „Empfindsamen“ („Sagen Sie mir, was ich nehmen soll!“ – „Einen Liebhaber!“) für Lacher. Mit der Lesung von „Der Leuchtkäfer. Aus der Ferialkorrespondenz zweier Jünglinge“ beschloss Miguel Herz-Kestranek den Abend, eine heitere Erzählung in Briefform, in der zwei Gymnasiasten ihre Sommererlebnisse austauschen. Die Liebschaft des einen, Stefan, wird zum Gesprächsthema, diese wird jedoch jäh gestört, als die Dame in jedem zweisamen Moment plötzlich einen Leuchtkäfer sieht, was amüsant und „geistreich“ von seinem Freund Felix kommentiert wird: „Die Frauen finden immer einen Leuchtkäfer, auf den sie sich ausreden. Den ehrlichen genügt ein Maikäfer.“

// Hanna Sonnleitner

Foto R. Gigler/ Salzkammergut Festwochen

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Im Gespräch.

Tag#5 (15.08.2012)

Seine „Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst“ in der Hand, traf ich Franz Schuh zu einem für mich sehr interessantem Gespräch über Gmunden, Schnitzler, Literatur, Essayistik, Philosophie, Radioarbeit und Unglück – und was zu diesen Themen dazu gehört. So entführte er mich in eine Denkweise, in der selbst scheinbar einfache Fragen ausführlich beantwortet werden.

Sonnleitner: Zu Beginn möchte ich Ihnen eine Frage stellen, die Sie wahrscheinlich erwartet haben: Warum Gmunden? Was gefällt Ihnen hier so besonders?

F.S.: Oberösterreich ist grundsätzlich so eine Art klares Land: Die Entscheidungsstrukturen sind eindeutig, durch den Landeshauptmann vorgegeben, die Schönheit der Gegend ist sprichwörtlich, zugleich ist das Land – ich sage nur Innviertel – von selbstständigen und unbeeinflussbaren Individuen bevölkert. In Linz gibt es eine für Österreich unglaubliche, avantgardistische Literatur, die auf Heimrad Bäcker zurückgeht, heute sind Elfriede Czurda und Christian Steinbacher charakteristisch dafür. Das heißt, es ist doch ein Land, das bei aller Eindeutigkeit verschiedene Dynamiken ermöglicht. Durch die voest ist es auch ein proletarisches Land, die Arbeiterschaft hat hier eine entscheidende Rolle. Außerdem gibt es in diesem Land diese eigenartige Seenlandschaft, die als Rückzugsmöglichkeit für alles Übrige besteht.

Als Wiener hatte ich ursprünglich Kärnten zu meinem Wien-kompensierenden Aufenthaltsort gemacht, doch dies ist mir seit einigen Jahren aus politischen Gründen nicht mehr möglich. Also bin ich froh, in Gmunden zu sein und mitarbeiten zu können, weil – das kann man schwer leugnen – das hier doch eine außergewöhnliche Landschaft ist. Es ist leicht provinziell und eine gewisse Gefahr besteht darin, dass sie durch die Zweithaus-Besitzer belebt wird, da entsteht so eine eigenartige Bevölkerungsklasse, die zwar interessiert ist, aber nicht involviert. Dennoch hat das Ganze hier etwas Frisches und Erfrischendes.

Die Salzkammergut Festwochen Gmunden sind schon allein aus geopolitischen Gründen interessant, weil es der Versuch ist, zwischen Wien und Salzburg auch etwas zu organisieren, auch wenn die Ressourcen bei weitem kleiner sind. Sie sind eine Möglichkeit für Menschen, die das Experimentelle lieber haben, also die den Versuch lieber haben als die prächtigen Schaubuden von Wien und Salzburg. – Da sehen Sie, wie umständlich man auf einfache Fragen antworten kann!

Sonnleitner: Sie selbst haben die Lesung vom „Leutnant Gustl“ am Dienstag gemacht. Stimmt es, dass Sie es auch waren, die den Schnitzler-Schwerpunkt angeregt haben?

F.S.: Das ist richtig. Nach den Sachen, die ich gehört habe, und die ich vorher schon kannte, bin ich noch mehr überzeugt davon. Schnitzler ist einer dieser Autoren, die vor der endgültigen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Katastrophe gestorben sind, nämlich 1931. Karl Kraus etwa ist 1936 gestorben, also auch vorher. Schnitzler war, wie im Übrigen auch Kraus und Sigmund Freud einer, der geahnt hat, da kommt irgendetwas. Und das, was da kommen wird, das wird nicht das Humane sein, sondern die Idylle einer „Welt von gestern“ sprengen. Ich habe hier eine Lesung von Anton Kuhs öffentlicher Rede gegen Karl Kraus, damals im Konzerthaus, veranstaltet und auffällig war, wie sehr diese Rede antisemitische Appelle enthielt. Und an diesem Detail, wenn selbst Juden – Kuh war Jude – antisemitische Kategorien ins Feld führen, kann man sich klar machen, dass das eine ungeheure Macht hatte. Und es war Schnitzler, der in seinen Romanen und auch in seinen Erzählungen ein ungeheures Gespür hatte für das, was jüdischen Menschen eventuell drohen wird. Er ist auch, obwohl er als Dramatiker eine so durchschlagende Berühmtheit hat, einer der größten Erzähler Österreichs, dieser österreichischen Tradition. Stilistisch zeichnet er sich dadurch aus, dass seine Erzählungen nicht die Aufmerksamkeit auf die Sprache lenken, sondern dass die Sprache in diesen Erzählungen quasi zu Gunsten des erzählten Inhalts verschwindet. Das heißt, er ist in seltsamer Weise gar kein manieristischer Erzähler, wohingegen es auf der Bühne sehr wohl etwas gibt, dass man „Schnitzlerismus“ nannte, so ein Tonfall wie in „Na, gnädige Frau“.

So gehört Schnitzler zu den Autoren, die die österreichische Mentalität, das „Design“, bewahren. Wenn es in „Professor Bernhardi“ z.B. heißt: „Ich kann mir ja vorstellen“, sagt Bernhardi, „dass jemand eine Gemeinheit tut, um ein Ziel zu erreichen, aber Gemeinheit als reiner Selbstzweck, das kann ich mir nicht vorstellen.“ So ist das doch ein Seufzer, der durch die österreichischen Jahrhunderte geht. Weil er eben schon auch damit zu tun hat, dass die Menschen hier es schwerer haben, Freiheit in diesem politischen Sinn zu erlangen, d.h. nicht dem folgen zu müssen, was ihnen angeschafft ist. Und das erzeugt natürlich alle möglichen Denunziationsformen, aber auch eine Lust an der Gemeinheit, mit der man den anderen schädigt. Und dann kommt dazu, dass es eine Negativpropaganda gegen Schnitzler gibt, in dem Sinn, dass er überholt ist, und das halte ich für ganz falsch. Denn dass etwas historisch ist – und Schnitzler ist historisch – besagt nichts darüber, ob es uns heute noch etwas sagt oder nicht.

Das zusätzlich Interessante an Schnitzler ist, dass er erkannte, dass Menschen weniger gern die Wahrheit sagen, als dass sie lieber Lust empfinden, sogar aneinander Lust empfinden. Das erzeugt komplizierte, unauflösliche Konflikte, z.B. in der „Liebelei“ von Schnitzler, wo die sich geliebt Fühlende am Ende die Frage stellt: „Was bin ich denn für dich gewesen?“ Und das ist eine Grundfrage im desillusionierenden Prozess des Zusammenseins von Mann und Frau.

Sonnleitner: Ich möchte gleich auf ein Zitat aus Ihrem Buch zurückkommen, das ich spannend gefunden habe, nämlich „Literatur ist immer ein Isolationsmedium; sie ist ein guter Grund, sich zurückzuziehen.“ Glauben Sie, dass sich zu wenig Zeit genommen wird, sich zurückzuziehen? Vielleicht auch, dass Literatur an sich zu wenig ernst genommen wird?

F.S.: Also ich bin keiner, der die pädagogische Schlagseite hat, wo man sagen muss: „Die Leute lesen zu wenig oder so etwas Ähnliches.“ Ich bin der Meinung, zur Freiheit gehört auch das Recht zu verdummen, also auch, jeder Lektüre aus dem Weg zu gehen. Ich denke aber, wie ich schon angedeutet habe, auch umgekehrt, dass, ob die Leute es lesen oder nicht, bei der gelungenen Literatur gilt, dass sie Dinge sagt, die die Menschen leben. In der Literatur steckt eine große Menge an gelebten Bedeutungen. Und die Leute, die diese Bedeutungen leben, müssen nicht unbedingt auch lesen, was sie leben. Eine Literatur, die nichts mehr damit zu tun hätte, was den Menschen etwas bedeutet, das wäre eine, die sich irgendwie selber aufgibt. Ich weiß nicht, welche Möglichkeiten es gibt, aber manche nutzen solche Möglichkeiten, dass Literatur sich selber aufgibt; sie zwingen den literarischen Diskurs dazu, bedeutungslos zu werden.

Sonnleitner: Das heißt, Sie glauben, es gibt Literatur, die sich selber aufgibt? Und welche Art von Literatur wäre das?

F.S.: Naja, ich würde sagen, die ersten 15 Bücher auf der Spiegel-Bestsellerliste. Natürlich ist das eine spöttische und spitzfindige Bemerkung, aber im Grunde stehe ich dazu.

Sonnleitner: Beim philosophischen Fest am Montag habe ich festgestellt, dass im Publikum wenig Jugendliche waren. Wenn Philosophie etwas ist, dass man offensichtlich erst später im Leben ernst nimmt, wie haben Sie sich dann dazu entschlossen, philosophisch tätig zu sein?

F.S.: Ich glaube in meinem Fall war es ein klassischer Vorgang: Ich war sehr einsam als 12- bis 14-Jähriger gewesen, und diese Einsamkeit in der Kleinfamilie bedeutet fast immer, dass man eine Fantasiewelt ausbildet und dass man Gedanken hegt, die man entweder schon philosophisch nennen kann, oder an die späteres Philosophieren anknüpfen kann. Also diese Einsamkeit ist, glaube ich, eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass man die Nachdenklichkeit zu einem Existenzmittelpunkt macht. Nach-Denklichkeit kommt immer erst nachher, und der Existenzmittelpunkt wäre immer der der Gegenwart. Und das ist mit Sicherheit einer der Gründe, warum die jungen Leute eher weniger zum Philosophicum kommen, weil die im besten Fall es nicht notwendig haben, nachdenklich zu sein. Sie sind mitten in Ereignissen und Faszinationen drinnen und sind also befangen oder gefangen im Gegenwärtigen. Das lässt sich nicht leicht lustvoll in Nachdenklichkeit überführen. Während ich umgekehrt sagen muss, dass ich beim Vortrag von Hr. Prof. Zeilinger über Einstein sehr viele junge Leute gesehen habe.

Sonnleitner: Und wie erklären Sie sich das?

F.S.: Weil die Physik und die Naturwissenschaft überhaupt keine Gefahren der Weinerlichkeit enthält, die man als junger Mensch in philosophischen Diskursen wahrscheinlich zu erkennen wähnt.

Sonnleitner: Sie sind ja als Essayist bekannt geworden. Sind die Anregungen für Ihre Essays spontane Reaktionen auf das politische, soziale, kulturelle Umfeld oder sind das Dinge, mit denen Sie sich schon länger beschäftigt haben?

F.S.: Ich denke das ist so, dass Perspektiven, die man länger schon in sich aufgebaut hat, dann mit zufälligen, sogenannten kontingenten, Ereignissen zusammentreffen. Man sieht, ob sich diese aufgebauten Perspektiven an kontingenten Ereignissen bewahren lassen. Und manche Dinge sind ziemlich aufreizend, sodass es fast unmöglich ist, sie nicht essayistisch zu betrachten.

Sonnleitner: Wir haben in unserer Schule ein Schulradio und da habe ich schnell festgestellt, dass geschriebene Texte nicht 1:1 ins Radio übertragbar sind, weil die Sätze meistens viel zu lang und/oder zu verschachtelt sind. Mich würde daher interessieren, ob sie das Geschriebene bevorzugen oder ob Sie Radioarbeit als interessanter empfinden.

F.S.: Also das ist ein sehr heikler Punkt. Und zwar deswegen, weil es in der Tat so eine Art Radioprosa gibt, die ich oft finde, wenn ich in die Studios komme. Dort sehe ich dann auf Mündlichkeit hingeschriebene Sätze, die sich dadurch auszeichnen, dass sie weder mündlich in Ordnung sind, noch als Schriftsprache gelten dürfen. Gerade das Radio erzeugt ein Sprach-Bankert, der weder mündlich taugt, noch der Schriftsprache Genüge tut. Und ich finde, aus diesem Dilemma muss ein guter Radiomacher raus. Es gibt z.B. Radioleute, die reden wie der akustisch gewordene Spiegel, also der „Spiegel-Stil“: etwas mühsame Ironie, die über jeden Gegenstand gleich gegossen wird. Das ist eigentlich keine Sprache mehr, sondern wie das, was im Spiegel steht, ein Jargon. Und das ist sehr schade weil das Radio auf der Grundlage der akustischen Ästhetik doch andere Sprechformen ermöglicht.

Sonnleitner: Das heißt es fehlt Ihnen die spontane Sprechweise?

F.S.: Ich bin sowieso ein Anhänger der spontanen Sprechweise, auch weil sie in Österreich besonders unbeliebt ist. Jeder, der in Österreich frei sprechen kann, wird als nicht genug tiefgründig beachtet.

Sonnleitner: Wir waren ja schon beim Philosophischen Fest unter dem Titel „Ziemlich trist. Aspekte des Unglücks“. Warum glauben Sie, dass sich leichter über das Unglück als über das Glück sprechen lässt?

F.S.: Das kann man einfach beantworten: Weil nämlich die Vorstellung der Menschen, was Glück ist, naturgemäß sehr unterschiedlich ist. Um es ganz banal zu sagen: Die einen fahren ins Gebirge, die andern an die Seen. Auf dieser banalen Ebene liegen unendliche Differenzen in Bezug auf das, was man für Glück hält. Wohingegen Unglücke ziemlich eindeutig alle gleichermaßen betreffen. Niemand, der auf einem untergehenden Schiff steht, würde sagen: „Das ist mir angenehm“ und der andere sagt: „Das ist mir unangenehm“ – das ist undenkbar.

Die Empfindung von Unglücken ist also ziemlich eindeutig. Das ist eine merkwürdige Struktur, dass die Menschen sich viel besser darüber einigen können, was Unglück ist als was ein Glück ist und das beginnt schon auf der untersten Ebene. Zu hungern wird nur in Kurhäusern und in Kosmetikstudios für Glück gehalten, generell würde jeder sagen, dass der Hunger ein Unglück und eine Qual ist.

Das macht die Glücksfrage unter Menschen umso interessanter. Ein kollektives Bemühen ums Glück wird wahrscheinlich nur so funktionieren, dass man Rahmenbedingungen schafft, die es ermöglichen, dass jeder sein von ihm entschiedenes Glück findet. Aber es wird nichts mit dem Glück, wenn vorgeschrieben wird, was inhaltlich Glück zu sein hat. Das wird zum Glück nicht funktionieren, weil Menschen anders gestrickt sind.

// Hanna Sonnleitner

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Porträtiert.

Tag#5 (15.08.2012)

Herzklopfen ist ein wunderbares Wort, da es sowohl universell einsetzbar als auch individuell verständlich ist. Bei mir beschreibt dieses Wort, wie ich mich vor dem persönlichen Highlight „meiner“ Festwochen-Woche, den Interviews mit Schauspielerin Dorothee Hartinger und Philosoph Franz Schuh, fühlte. Die Gespräche mit den beiden waren sehr interessant und zeigten mir, dass das Warten und die Vorfreude auf die Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen, sich mehr als gelohnt haben.

Die erste, mit der ich an diesem Nachmittag sprechen durfte, war die Schauspielerin Dorothee Hartinger, die vielen aus der Faust-Inszenierung von Peter Stein oder aus verschiedensten Theaterrollen am Burgtheater (dort ist sie seit 2002 Ensemblemitglied) und diversen Fernsehproduktionen bekannt ist. Ich sprach mit ihr vor allem über das „Fräulein Else“, welches sie ja am Abend im Stadttheater zum Besten gegeben hat. Auf meine Frage, was sie so an diesem Stück, einem inneren Monolog, fasziniert, meint sie, dass es für sie als Theaterschauspielerin einfach dazugehört, zu den „Ursprüngen zurückzukehren“, d.h. als Mensch alleine auf einer Bühne zu stehen und den Menschen ein Theaterstück näher zu bringen. Dies, was der innere Monolog erfordert, ist für sie sozusagen die „Kernzelle des Theaters“. Außerdem ist das „Fräulein Else“ einfach so vielseitig, dass es Spaß mache, es zu spielen: es ist ein Krimi, aber auch lustig, es beschreibt die schwierige Zeit des Erwachsenwerdens und die Diskrepanz zwischen reich leben, aber kein Geld haben. Hartinger erzählte mir, dass Elses Hysterie ein Zeitphänomen der damaligen biederen Zeit war. Das Schlafmittel Veronal, das Else nimmt, sei damals ein beliebtes Selbstmordmittel gewesen, ihr Tod war kein Einzelfall und deswegen ist das Mittel dann auch aus dem Verkehr genommen worden.

Neben der „Else“ sprachen wir auch über den Schauspielberuf im Allgemeinen und dass sie sich als Schauspielerin als „Dompteur“ fühlt, der die Zuschauer beeinflussen und lenken kann. Sie habe auch schon Vorstellungen unterbrochen, wenn Schülern bei Schülervorstellungen die Grundkonzentration fehlt. Vom Kino, von der „vierten Wand“ beeinflusst, sind sie es dann nicht gewohnt, dass Schauspieler das Spielen unterbrechen und erschrecken dann richtig, erzählt sie mit Lachen.

Als ich sie frage, was ihr lieber ist, im Theater oder in einem Film zu spielen, sagt sie dezidiert: „Ich bin Theaterschauspielerin“. Das ist für sie deswegen so klar, weil sie beim Filmdreh nur ein Rädchen des Ganzen und abhängig von der Technik ist. So erzählt sie etwa vom Dreh eines Weihnachtsfilms, bei dem ihr ernsthaftes Spiel durch Unterlegung mit kitschiger Musik einen von ihr nicht gewünschten Ausdruck bekam. „Außerdem kann ich den Zuseher im Theater mit auf eine Reise nehmen. Die ständige Angst, dass umgeschalten wird, gibt es nicht.“

Ihre Professur am Konservatorium Wien erklärt sie damit, dass sie Schauspielerisches vermitteln möchte: „Jeder Mensch möchte das, was ihn bewegt, vermitteln.“ Sie findet die Hemmschwelle, die manche Jugendliche vor dem Theater zu haben scheinen, schade und ist aber der Meinung, dass Theater – obwohl es nicht so leicht zu konsumieren ist – wichtig ist, weil es zu einer echten Auseinandersetzung mit einem Thema führt. „Kinder sind leichter bereit, mitzuspielen, darum ist auch Kindertheater sehr wichtig.“

Im Übrigen freue sie sich auf die Aufführung des „Fräulein Else“, deren Strichfassung sie selbst geschrieben hat und bei der überraschend auch ihre Schwester im Publikum anwesend war.

// Hanna Sonnleitner

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